Rückblick und Ausblick
Mit einer positiven Bilanz von rund 238.000 Besucher:innen im Jahr 2022 kann das Deutsche Hygiene-Museum fast wieder an die Zahlen des letzten Vor-Corona-Jahres 2019 anknüpfen.
2023 stehen drei große Sonderausstellungen auf dem Programm. Die Eigenproduktion Von Genen und Menschen. Wer wir sind und werden könnten (11. Februar – 10. September 2023) setzt sich mit den ethischen und gesellschaftlichen Konsequenzen der aktuellen Genforschung auseinander. In Hello Happiness (27. Mai - 19. November 2023) einer Koproduktion mit der Londoner Wellcome-Collection, wird es in einem interaktiven Parcours um die Rolle positiver Emotionen in Zeiten von Krisen gehen. Die Ausstellungsübernahme aus dem Alpinen Museum der Schweiz, Bern, Let´s Talk About Mountains. Eine filmische Annäherung an Nordkorea (17. November 2023 – 5. Mai 2024) bietet ungewöhnliche Einblicke in den Alltag Nordkoreas und wird im Hygiene-Museum um ein Kapitel erweitert, das von den wenig bekannten Verbindungen des sächsischen Bergsteigens in das Land Kim Jong-uns erzählen wird.
Im Rahmen des mehrjährigen von der Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien mit rund 3 Mio. Euro geförderten Projekts Museen als aktive Orte der Demokratie werden 2023 zahlreiche innovative Veranstaltungsformate entwickelt. Dazu gehören Outreach-Projekte wie das „Festival der falschen Wahrheit“ in Hoyerswerda oder in Dresden das Projekt „Orte des Glücks“, die immersive Rollenspiel-Simulation „Makellos. Eine genetisch optimierte Zukunft“, das queere Festival „reizend! Leidenschaft, Kunst und Camp“ oder das Escape-Game „House of fun – hier hört der Spaß auf!“ Im Rahmen des Förderprojekts wird auch die Community Werkstatt fortgeführt, in der die Perspektiven migrantischer Initiativen und Gemeinschaften in die Arbeit des Museums eingebunden werden. Ein weiterer Schwerpunkt ist die Vorbereitung der großen Sonderausstellung „Das Deutsche Hygiene-Museum, die DDR und wie wir uns erinnern“, die ab Februar 2024 zu sehen sein wird.
Besucherzahlen 2022 fast wieder auf Vor-Corona-Stand
Mit rund 238.000 verkauften Tickets im Jahr 2022 konnten die Erwartungen zu Beginn des Jahres, die noch ganz unter dem Eindruck von Corona standen, weit übertroffen werden. Dieses gute Ergebnis stellt eine deutliche Steigerung gegenüber den von mehrmonatigen Schließungen geprägten Jahren 2020 und 2021 dar und knüpft fast wieder an die Zahlen des letzten Vor-Corona-Jahres 2019 an, als rund 257.000 Besucher:innen gezählt werden konnten.
Neben der Zahl der verkauften Tickets ist es interessant zu sehen, wie sich die Besuche auf die einzelnen Ausstellungen verteilt haben: Am besten besucht war, wie schon in den vergangenen Jahren, mit 159.500 Besucher:innen die Dauerausstellung. Ins Kinder-Museum kamen zusätzlich 96.500 Kinder mit ihren Eltern oder anderen Begleitpersonen. Die 2022 beendete Sonderausstellung Künstliche Intelligenz. Maschinen – Lernen – Menschheitsträume verzeichnete 100.000 Besucher:innen, 103.500 waren es während der gesamten Laufzeit (6. November 2021 – 6. November 2022). In der noch laufenden Sonderausstellung Fake. Die ganze Wahrheit konnten vom 14. Mai 2022 bis zum Jahresende 77.500 Besucher:innen gezählt werden.
Ganz besonders erfreulich war die Tatsache, dass sehr viele Schulklassen eines der zahleichen Bildungsprogramme wahrgenommen haben und das Museum damit wieder an seine alte Stärke in diesem Publikumssegment anschließen konnte: An 2.000 Führungen oder Projekten haben 2022 rund 39.000 Schüler:innen teilgenommen, im Vergleichsjahr 2019 waren es 46.000 in rund 2.150 Angeboten.
Drei neue Sonderausstellungen 2023
Im neuen Jahr werden die Besucher:innen im Hygiene-Museum vier thematisch sehr unterschiedlich gelagerte Sonderausstellungen erleben können. Wer es bislang verpasst hat, kann das beliebte „Amt für die ganze Wahrheit“ in der Fake-Ausstellung noch bis zum 5. März 2023 besuchen.
Anfang Februar wird mit Von Genen und Menschen. Wer wir sind und werden könnten (11. Februar – 10. September 2023) das Programm der Neuproduktionen eröffnet. Diese kulturwissenschaftlich ausgerichtete Ausstellung zu einem der innovativsten naturwissenschaftlichen Themen der Gegenwart beschäftigt sich damit, welche Auswirkungen die Erkenntnisse der Genetik auf unsere Vorstellung von Herkunft, Identität, Gesundheit und Natur haben. Welche medizinischen Chancen bieten etwa die inzwischen verfügbaren Einsatzmöglichkeiten der Gentechnik – und wie kritisch muss die Gesellschaft umgekehrt mit den Konsequenzen daraus umgehen? Also: Ist das technisch Machbare auch immer das ethisch Vertretbare? Und: Ist die Gefahr einer rassistischen Instrumentalisierung der Genetik für immer gebannt? Das umfangreiche Begleitprogramm zur Ausstellung wird am 12. März mit einer Wissenschaftsmatinee eröffnet, bei der unter anderem die Nobelpreisträgerin Christiane Nüsslein-Vollhard und der Leipziger Archäogenetiker Johannes Krause, der am Max-Planck-Institut des diesjährigen Medizin-Nobelpreisträgers Swante Pääbo forscht, zu Gast sein werden.
Ende Mai eröffnet die Ausstellung Hello Happiness (27. Mai - 19. November 2023), bei der es sich um eine erneute Koproduktion mit der Wellcome Collection handelt, dem renommierten Londoner medizinhistorischen Museum. Die Ausstellung soll nicht nur vom (Alltags-)Glück und den kleinen Freuden erzählen, die uns durch Momente der Krise helfen – sondern auch selbst ein wenig glücklich machen. Die Besucher:innen sind eingeladen, sich an interaktiven Stationen auszuprobieren und über ihre eigenen Strategien des Glücklichseins zwischen Krisenbewältigung und Selbstoptimierung nachzudenken. Die Ausstellung führt quer durch die Welt der guten Gefühle: vom Loslassen in der Ekstase oder der stillen Kontemplation über die Rolle von Gemeinschafts- und Naturerlebnissen oder Protest- und Widerstandserfahrungen bis hin zu Verhaltenstechniken zwischen einer konsumorientierten Happiness-Industrie und dem simplen, aber beglückenden Nichtstun.
Auch die Ausstellung Let´s Talk About Mountains (17. November 2023 – 5. Mai 2024) geht auf eine internationale Kooperation zurück, diesmal mit dem Alpinen Museum der Schweiz in Bern. In einer „Filmischen Annäherung an Nordkorea“ eröffnet diese Video-Ausstellung einen ungewöhnlichen Zugang zu den Menschen, die in diesem kommunistisch regierten Staat leben. Worüber miteinander reden, wenn die Fremdheit maximal und das freie Gespräch kaum möglich scheint? Das Team des Alpinen Museums hat sich für die Berge entschieden – let´s talk about mountains! Jenseits der Medienschlagzeilen von Raketentests, Führerkult und Indoktrinierung sprechen 40 Frauen und Männer in sensiblen Video-Interviews über ihr persönliches Verhältnis zur Bergwelt, die nahezu das ganze Land durchzieht und eine große Rolle im National- und Revolutionsmythos spielt. Die Groß-Projektionen der Videos entfalten eine stille Intensität und öffnen über den Gesprächsanlass der Bergwelt ungewöhnliche Einblicke in den Alltag dieses verschlossenen Landes. Für die Präsentation im Hygiene-Museum wird die Ausstellung um einen Exkurs über das sächsische Bergsteigen ergänzt, das über interessante historische, aber wenig bekannte Verbindungen zu Nordkorea verfügt. Mit dieser Reflexion über sportliche Staatsbesuche und das Freiklettern als einem Freiheits(t)raum innerhalb totalitärer Systeme wird die Dresdner Präsentation um einen nicht nur regional interessierenden Aspekt erweitert.
Projekt „Museen als aktive Orte der Demokratie“
Das Deutsche Hygiene-Museum wird seit 2022 von der Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien (BKM) in dem mehrjährigen Projekt „Museen als aktive Orte der Demokratie“ mit insgesamt rund 3 Mio. Euro gefördert; Kooperationspartner sind die Staatlichen Kunstsammlungen Dresden. 2022 konnten mit dieser Förderung bereits die Sonderausstellung „Fake. Die ganze Wahrheit“ und das umfangreiche Veranstaltungsprogramm „Debattenkulturen“ realisiert werden.
Outreach-Aktivitäten
Im vergangenen Jahr wurde im Rahmen dieser Förderung das langfristig angelegte Outreach-Projekt DHMD on the road initiiert, in dem das Museum seine Spielstätte über Dresden hinaus in Transformationsregionen Sachsens hinein erweitert hat und seither mit mehreren Partnerinstitutionen in Hoyerswerda zusammenarbeitet. Am 4. Februar 2023 startet in diesem Rahmen in der Kulturfabrik Hoyerswerda das Festival der falschen Wahrheit, das mit zahlreichen Veranstaltungen anderer Akteure der Stadt fortgesetzt werden wird. 2023 werden die Outreach-Aktivitäten in die Regionen um Hoyerswerda erweitert und ein zweiter Ort im ländlichen Sachsen für weitere Kooperationen ausgewählt.
Vor Ort in Dresden wird im Begleitprogramm der Ausstellung „Hello Happiness“ das Outreach-Format Orte des Glücks stattfinden, in dem erkundet und vorgestellt wird, welche Orte Dresdner:innen aus welchen individuellen Gründen mit Glück, Freude und positiven Gefühlen verbinden. Das Projekt portraitiert diese Orte und Menschen in einer Wanderausstellung, die an verschiedenen Orten der Stadt gezeigt werden soll. Außerdem werden die vorgestellten „Orte des Glücks“ in Stadtrundgängen aufgesucht, um sich dort darüber auszutauschen, was uns glücklich macht und was wir zu unserem Glück brauchen.
Innovative Veranstaltungsformate
Auch 2023 werden im Rahmen des Projektes „Museen als aktive Orte der Demokratie“ wieder mehrere innovative und experimentelle Veranstaltungen entwickelt, die niedrigschwellige, diskursorientierte und auf aktive Teilhabe ausgerichtete Formate erproben werden, mit denen vorwiegend - aber nicht nur - ein jüngeres Publikum angesprochen werden soll.
Im Begleitprogramm der Genetik-Ausstellung steht vom 19. bis 21. Mai und vom 25. bis 27. August 2023 die immersive Rollenspiel-Simulation Makellos. Eine genetisch optimierte Zukunft auf dem Programm. Das Hygiene Museum verwandelt sich dazu in eine futuristische Klinik, in der ethische Fragen erlebbar und ausgehandelt werden können: Wie fühlt es sich an, wenn bestimmte genetische Zukunftsvisionen Teil unseres Alltags werden? Wollen wir makellos sein? Was ist lebenswert? Was macht uns überhaupt als Menschen aus? Die Veranstaltung bewegt sich zwischen partizipativem Theater und Live-Rollenspiel und bietet allen Teilnehmenden nach intensiver Vor- und Nachbereitung einen eigenen Dresscode für ihre individuellen Rollen an.
Im Begleitprogramm der Happiness-Ausstellung feiert reizend! Festival rund um Leidenschaft, Kunst und Camp (12. – 15. Juli 2023) die Vielfalt des Begehrens und queerfeministisches Empowerment, zu dem alle Freund:innen und Interessierte eingeladen sind. Workshops, Austauschformate, künstlerische Aktionen, Live-Rollenspiele und ein abschließendes rauschendes Fest loten diverse Facetten von individueller und gemeinschaftlicher Freude, von Glück und Ekstase aus.
Von September bis November 2023 wird in den Räumen der Happiness-Ausstellung mit House of fun – hier hört der Spaß auf! ein Escape-Game angeboten, in dem die Doppelbödigkeit von Glück und Humor und ihre moralischen Grenzen ausgelotet werden.
Community Werkstatt
Im Projekt „Museen als aktive Orte der Demokratie“ wird neben diesen Veranstaltungen auch die Community Werkstatt fortgeführt, in der sich das Hygiene-Museum bereits seit 2020 mit verschiedenen migrantischen Initiativen in Dresden vernetzt hat. 2023 sollen co-kreative Formate entwickelt und erprobt werden, in denen sich unterschiedliche Perspektiven der diversen Stadtgesellschaft abbilden. So wird der Museumssonntag gemeinsam mit den Teilnehmenden der Community Werkstatt neu geplant; ebenso wird ein Pilotprojekt zum Thema sexueller Bildung entstehen.
DDR-Ausstellung ab 2024
Ein weiterer Schwerpunkt des Projekts „Museen als aktive Orte der Demokratie“ ist die in Vorbereitung befindliche große Sonderausstellung Das Deutsche Hygiene-Museum, die DDR und wie wir uns erinnern, die ab Februar 2024 zu sehen sein wird. Die Ausstellung wird sich mit der Institutionsgeschichte des Museums zur Zeit der DDR und der Transformation der 1990er-Jahre beschäftigen. Sie stellt die wissenschaftliche, didaktische und künstlerische Konzeption der weltweit exportierten Ausstellungen und Lehrmittel des DHMD in den Kontext kultureller Wissensproduktion und industrieller Fabrikation. Das Museum wird dabei als exemplarischer und zugleich repräsentativer Produktionsort und Betrieb der DDR und als staatliches Institut für Gesundheitspolitik und -erziehung in den Blick genommen.
Wissenschaftliche und kulturelle Veranstaltungen
Über die im Projekt „Museen als aktive Orte der Demokratie“ stattfindenden Programme hinaus werden 2023 wieder rund 40 weitere hochkarätige kulturelle und wissenschaftliche Veranstaltungen angeboten, von denen hier nur einige wenige hervorgehoben werden sollen.
Zu den Höhepunkten zählt die Literarische Gesprächsreihe Glossar der Gegenwart, in der im Januar und März die Begriffe Sensibilität, Wut und Spiritualität kultur- und gesellschaftskritisch analysiert werden. Auftakt der Reihe ist der Abend zur Sensibilität mit Mia Latković und Eckhart Nickel am 26. Januar 2023. Weitere Gäste der Münchner Literaturwissenschaftlerin Anna-Lisa Dieter sind die Autor:innen Heike Geißler, Paul-Philipp Hanske, und Jakob Nolte.
Die seit Jahren etablierte philosophische Reihe Theorien zur Praxis wird auch in diesem Jahr wieder zwei Mal stattfinden: Im März spricht der Berliner Kulturwissenschaftler und Gastgeber der Reihe Philipp Felsch mit dem Philosophen Martin Saar über Jürgen Habermas, den wohl berühmtesten noch lebenden Denker der Gegenwart, und im Oktober mit dem Pop-Theoretiker Diedrich Diederichsen über postkoloniale Theorie.
Der kultige Klub der kruden Dichter geht im November in die dritte Runde und wird sich mit einem illustren Gästepodium gewohnt unkonventionell mit einem abseitigen, aber darum umso interessanten Thema beschäftigen – das zum jetzigen Zeitpunkt noch nicht verraten wird.
Rettungsaktion für Gläserne Frau
Die historische Gläserne Frau aus dem Jahr 1937, eine Leihgabe des Deutschen Historischen Museums in Berlin, wurde aufgrund fortschreitender Schäden Ende 2022 vorrübergehend aus der Dauerausstellung herausgenommen. Für die dauerhafte Präsentation dieser Figur wird in den nächsten Monaten eine Klimavitrine entstehen, in der die erforderlichen Umgebungsbedingungen gewährleistet werden können. Die sogenannten Gläsernen Figuren des Hygiene-Museums bestehen nämlich tatsächlich aus dem Kunststoff Celluloseacetat und sind darum akut gefährdet. Ein Forschungsprojekt des DHMD hatte unter anderem herausgefunden, dass eine Raumtemperatur von 15° C und eine relative Luftfeuchtigkeit von 30 rF optimal für den Erhalt der Figur aus Celluloseacetat wären. Diese Bedingungen sollen nun passgenau in einer eigenen Vitrine für die Gläserne Frau geschaffen werden. Es handelt sich um ein Pilotprojekt im Bereich zielgerichteter statt raumgreifender Klimatisierung, das auch wegweisend für andere Häuser sein kann. Mit dem Abschluss der Maßnahme und der Rückkehr der historischen Figur in die Dauerausstellung ist Mitte des Jahres zu rechnen.
Baumaßnahmen
Voraussichtlich im März werden die Sanierungs- und Modernisierungsarbeiten im Seminargebäude „Kopfbau Süd“ abgeschlossen sein, deren Kostenvolumen von rund 1,2 Mio. Euro hälftig von der Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien (BKM) und der Stiftung Deutsches Hygiene-Museum getragen werden. Die Maßnahmen umfassen die grundlegende Erneuerung der Fußbodenaufbauten und -beläge, der Medientechnik und Beleuchtung, der Raumaufteilung, der Sanitäranlagen und der Wandanstriche. Nach Projektende stehen wichtige Kapazitäten des Tagungszentrums wie der Marta-Fraenkel-Saal und die umliegenden Seminarräume wieder für Vermietungen und für die eigenen Veranstaltungen des Museums zur Verfügung.