So nah - und doch so fremd?
Den einen bedeuten Haustiere ihr Ein und Alles: Vollwertiges Familienmitglied und stummer Vertrauter, ein natürliches, irgendwie wildes Wesen mitten im Wohn- oder Kinderzimmer und ganz nebenbei ein willkommener Anlass, mit wildfremden Menschen ins Gespräch zu kommen. Andere wiederum sehen die Sache kritisch: Haustiere würden lediglich dazu benutzt, emotionale oder soziale Probleme auszugleichen oder es wird gleich ganz das Recht des Menschen bestritten, Tiere für seine Zwecke zu züchten und einzusperren. Und dann gibt es noch die, denen Haustiere mehr oder minder gleichgültig sind. Eines aber scheint vollkommen klar: Um ein Nischenthema handelt es sich hier nicht, denn in einem Drittel der deutschen Haushalte leben derzeit rund 30 Millionen Hunde, Katzen, Hamster oder andere Tierarten. Nachdem Nutz- und Arbeitstiere weitgehend aus unseren Groß- und Kleinstädten verschwunden sind, kommen die meisten Menschen heute fast nur noch mit Heimtieren in Berührung. Diese von ihren Halterinnen und Haltern heiß geliebten, aber auch dominierten Lebewesen bestimmen den Alltag auf eine oft wenig beachtete und doch nachhaltige Weise mit. Haustiere und ihre Menschen – die Aktualität und Geschichte dieser ganz speziellen Beziehung wird in der Ausstellung Tierisch beste Freunde einmal etwas genauer in den Blick genommen. Im Hintergrund steht die Überzeugung, dass der Umgang des Menschen mit seinen Heimtieren überraschende Auskünfte nicht nur über ihn selbst geben kann, sondern auch über sein Verhältnis zu anderen Menschen und zur Natur insgesamt.
Auf einem abwechslungsreichen Parcours werden nicht nur zahlreiche faszinierende und seltene Tierpräparate präsentiert, sondern auch historische Dokumente, Objekte und Medien der Alltagsgeschichte und Populärkultur sowie ausgewählte Arbeiten zeitgenössischer Kunst. Ganz gleich, ob sie mit Tieren zusammenleben oder nicht: Die Besucherinnen und Besucher werden in dieser Ausstellung berührt, unterhalten und angeregt – vor allem zum Nachdenken über ihr eigenes Verhältnis zum Heim-Tier.
Künstlerinnen und Künstler
Woody Allen, Andreas Amrhein, Richard Ansdell, Sophie Bassouls, Tarsh Bates, Maria Giovanna Battista Clementi, Jean Baptiste Jules Davide, Arnoldus van Geffen, William Hogarth, Hörner/Antlfinger, Johann Joachim Kaendler, Erik Kessels, Nicolette Krebitz, Jo Longhurst, Rudolf Letzig, Renate von Mangoldt, Richard Müller, Isolde Ohlbaum, Henrik Olesen, Michael Powolny, Ulrich Seidl, Franz von Seitz, Keren Shavit, Elizabeth T. Spira, Kuraya Takashi, Theodor van Thulden, Cornelius Völker, William Wegman, Christopher Winter, Wols, Xiaoxiao Xu, Pim Zwier
Ausstellungsabteilungen
Die Entstehung des Haustiers
Tiere leben seit Jahrtausenden mit Menschen zusammen. Zunächst werden sie gegessen, bald dienen sie auch als Jagdhelfer und zum Transport. Wohlhabende prahlen in vormodernen Kulturen mit ihren Tieren und halten sie als Spielgefährten. In die meisten Gesellschaftsschichten zieht das Haustier als geliebtes Wesen aber erst mit der Industrialisierung, im 19. Jahrhundert, ein.Um diese Zeit strömen Menschen in die Städte, aus denen die Nutztiere parallel verdrängt werden. Zugleich steigt die Bedeutung der Familie. In ihr wird die neue emotionale Beziehung zwischen Tier und Mensch gelebt. Wie zuvor im Adel dienen Haustiere nun auch verstärkt im Bürgertum, dann nach und nach in allen sozialen Schichten als Unterhalter und Gefährten. Das wachsende Bedürfnis lässt ein immer vielfältigeres Angebot an Tieren entstehen. Zucht wird systematisiert: Sie passt Körper und Wesen der Tiere den sozialen und ästhetischen Vorlieben der Menschen an.
Der Mensch und sein Haustier
Mit Haustieren wollen wir sprechen – und schätzen ihre Sprachlosigkeit. Wir fordern bedingungslose Liebe – aber auch Gehorsam. Doch zugleich erhoffen wir von einem eigenen tierischen Willen, dass er unsere tägliche Routine aufbricht. Mit Haustieren wollen wir ein Stück Natur in unsere Wohnungen holen – die wir allerdings schnell an unsere Lebensweise anpassen.Viele der Erwartungen, die wir an unsere Haustiere richten, stimmen mit den Ansprüchen an unsere Mitmenschen überein. Wichtige soziale Bedürfnisse zeigen sich so in der Beziehung zum Haustier wie unter einem Vergrößerungsglas. Unseren Tieren gegenüber drücken wir sie aber oft ungehemmter aus. Denn sie können uns ihre eigene Meinung nur bedingt vermitteln und sich kaum gegen unerfüllbare Wünsche wehren. Gleichzeitig sind sie uns ähnlich genug, um ein inniges Verhältnis zu stiften.
Das Haustier und sein Mensch
Was halten Haustiere von ihrem Leben mit uns Menschen? Ein Gedankenspiel – denn was Tiere denken, können wir bisher nur erahnen. Dennoch stellt die Frage unsere Beziehung zu Tieren und unser Verhältnis zur Natur auf den Prüfstand. Extreme Zuchtformen lassen an der Haustierliebe des Menschen Zweifel aufkommen. Die ungleiche Behandlung von Haus- und Nutztieren zeigt, wie willkürlich wir unsere Zuneigung verteilen. Während wir Hunde und Katzen mit Liebe überschütten, würdigen wir Nutztiere in Massentierhaltung zu lebenden Maschinen herab.
Tierrechtler*innen streiten deshalb seit Jahrzehnten für ein gleichberechtigtes Zusammenleben von Mensch und Tier – bis hin zum Kampf für Bürgerrechte des Tiers. Welche Konsequenzen hätte völlige Gleichberechtigung zwischen den Spezies? Können wir Tieren überhaupt gerecht werden – oder übertragen wir nur unsere eigene Vorstellung von einem glücklichen Leben auf sie?
Der virtuelle Perspektivwechsel
Was sieht der Wellensittich im Spiegel? Wie fühlt sich der Fisch im Wasser? Unter Einsatz von Virtual-Reality-Technik vollzieht die Ausstellung am Ende einen Perspektivwechsel: In einer Rauminszenierung kann man darüber spekulieren, wie Heimtiere ihre Umwelt wahrnehmen und wie es ihnen mit uns Menschen geht. Aber werden wir uns jemals in das Bewusstsein von Tieren hineinversetzen können?
Rundgang
Pressestimmen
Daten & Fakten
AUSSTELLUNGSTEAM
Kuratoren: Viktoria Krason und Dr. Christoph Willmitzer
Wissenschaftliche Mitarbeit: Philipp Bürger
Ausstellungsgestaltung, -szenographie, Grafik und Produktionsleitung: chezweitz GmbH I museale und urbane Szenografie, Berlin
Interaktive Installationen: schnellebuntebilder, Berlin
Wissenschaftliche Beratung: Prof. Dr. Iris Därmann, Humboldt-Universität zu Berlin; Christina Hucklenbroich, Münster;
Prof. Dr. Mieke Roscher, Universität Kassel; Dr. Frank Steinheimer, Zentralmagazin Naturwissenschaftlicher Sammlungen
Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg
Übersetzungen: Stephen B. Grynwasser, James Bell, Christina Oberstebrink
Ausstellungsfläche
800 qm