Einführung
Krieg und Medizin ein widersprüchlicheres Thema ist kaum denkbar: Auf der einen Seite die Zerstörungskraft und das menschliche Elend des Krieges, auf der anderen das Selbstverständnis der Medizin, Menschen zu heilen und gesund zu erhalten. Wie erleben Ärzte und Krankenschwestern, aber auch Soldaten und Zivilisten diesen noch kaum erforschten ethischen Konflikt? Welche Erfahrungen machen sie mit Verletzungen und Tod, mit ihrer Hilflosigkeit und Verzweiflung, aber auch ihrem Mut und ihrer Bereitschaft, anderen zu helfen? Diese ganz persönlichen Perspektiven bilden das Zentrum der Ausstellung "Krieg und Medizin", einem Gemeinschaftsprojekt der Wellcome Collection, London, und des Deutschen Hygiene-Museums, Dresden.
In welchem spannungsvollen Wechselverhältnis sich Krieg und Medizin bis heute befinden, zeigt die Ausstellung anhand von historischen und zeitgenössischen Exponaten und Dokumenten, von Foto- und Filmmaterial, aber auch anhand von Arbeiten bekannter Künstler wie Max Beckmann, Georg Grosz oder Conrad Felixmüller. Sie spannt einen zeitlichen Bogen von den aktuellen Konflikten in Afghanistan oder im Irak bis zurück zur humanitären Katastrophe des Krimkrieges. Noch Mitte des 19. Jahrhunderts starben mehr Soldaten an den Folgen einer unzureichenden medizinischen Versorgung als auf den Schlachtfeldern. Sowohl die Kriegsführung als auch die Rolle der Medizin haben sich seitdem stark gewandelt. Angesichts der fortschreitenden Technisierung des Krieges gewann die Militärmedizin auch strategisch an Bedeutung. Während die neuartigen Waffensysteme den Soldaten die furchtbarsten Verletzungen zufügten, versuchte die Medizin parallel dazu mit wirkungsvolleren Behandlungsmethoden Schritt zu halten. Zugleich musste sie ihr Handlungsfeld immer stärker auf die Zivilbevölkerung ausweiten, die heute zunehmend direkt oder indirekt von den Kampfhandlungen betroffen ist.
In welchen ethischen Zwängen steht eine Medizin, die Leben rettet und Leiden lindert und die zugleich zu einem maßgeblichen Bestandteil des militärischen Apparats geworden ist? Wie vereinbaren wir das Recht auf militärische Verteidigung mit der humanitären Pflicht, Kriegsopfer auf dem bestmöglichen medizinischen Niveau zu versorgen? Diesem beklemmenden moralischen Dilemma nähert sich die Ausstellung aus kulturwissenschaftlicher und medizinhistorischer Perspektive und ermöglicht den Besuchern so eine informierte und emotionale Auseinandersetzung mit den Schicksalen und Motiven der handelnden Personen. Auch in Deutschland hat dieses Thema aufgrund der Auslandseinsätze der Bundeswehr eine bedrängende Aktualität gewonnen, der sich die Betroffenen, aber auch die Gesellschaft insgesamt stellen müssen.
Vom 22. November 2008 bis zum 15. Februar 2009 war die Ausstellung unter dem Titel War and Medicine. 150 years of life and loss. in der Wellcome Collection in London zu sehen. Nähere Informationen über die Präsentation in London finden Sie unter: www.wellcomecollection.org
Abteilungen
1. Der Apparat
Der Krimkrieg (1853-56) und wenig später die Schlacht von Solferino, Italien, (1859) wurden von vielen Zeitgenossen als militärische und menschliche Tragödien wahrgenommen. Tausende Soldaten starben nicht nur während der Kampfhandlungen, sondern vor allem an den Folgen eines unzureichenden Sanitätswesens. Diese Katastrophen lösten bei Militärs und Medizinern einen allmählichen Bewusstseinswandel aus. Die Ausstattung der modernen Massenheere mit Nahrung, Kleidung und medizinischer Versorgung wurde nun verstärkt als eine zentrale militärische Aufgabe betrachtet. Dies hatte sowohl humanitäre als auch militärstrategische Gründe, denn nur gesunde Truppen lassen sich effektiv einsetzen. In diesem ethischen Zwiespalt bewegt sich das Verhältnis von Krieg und Medizin bis heute.
2. Der Körper
Der Körper des Menschen stellt einen wichtigen "Rohstoff" für den Krieg dar, der durch den militärmedizinischen Apparat verwaltet wird. Das medizinische Personal steht dabei vor einer beklemmenden ethischen Tatsache: Seine Funktion besteht darin, die Soldaten zu heilen und gleichzeitig auf einen erneuten Fronteinsatz vorzubereiten, bei dem sie möglicherweise verletzt, verstümmelt oder getötet werden.
Welche Kriterien muss der Körper schon bei der Musterung erfüllen, um für den Krieg als tauglich zu gelten? Welchen allgemeinen und kriegsspezifischen Krankheiten waren und sind Soldaten bis heute ausgeliefert? Welche Verletzungen riskieren Soldaten aufgrund der Zerstörungsgewalt der modernen Kriegstechnik und wie kann die Medizin darauf reagieren? Wie kann Kriegsversehrten im späteren zivilen Leben medizinisch geholfen werden? Wie gingen und gehen Gesellschaften mit dem kriegsversehrten Körper um?
3. Die Psyche
Im Krieg wird nicht nur der Körper misshandelt. Es treten häufig auch schwere psychische Erkrankungen auf, die durch traumatische Kriegserlebnisse ausgelöst werden. Soldaten können davon ebenso betroffen sein wie Zivilisten. In früheren Zeiten wurden solche Traumata häufig verleugnet oder tabuisiert; heute wird diesen Verletzungen der Seele jedoch große Aufmerksamkeit zuteil. Sogenannte posttraumatische Belastungsstörungen können inzwischen weit besser diagnostiziert und psychiatrisch behandelt werden als dies früher der Fall war. Den persönlichen Erfahrungsberichten von Kriegsteilnehmern und -opfern widmet die Ausstellung in der letzten Abteilung breiten Raum.
Rundgang
Ein Gemeinschaftsprojekt der Wellcome Collection, London, und des Deutschen Hygiene-Museums, Dresden.