Einführung
Für ihr Foto-Projekt Kleider machen Leute hat Herlinde Koelbl, eine der renommiertesten deutschen Fotografinnen der Gegenwart, siebzig Menschen in Deutschland und im Ausland porträtiert - zunächst in ihrer Standes- oder Berufsbekleidung und anschließend so, wie sie sich in ihrer Freizeit kleiden. Erforscht wird in dieser Fotoserie, was die unterschiedlichen "Uniformen" aus den Menschen machen. Unsere Kategorien der Wahrnehmung anderer Menschen werden in dieser Ausstellung bestätigt und gleichzeitig verunsichert: In welcher Kleidung zeigen sich die Porträtierten in ihrer sozialen Rolle, in welcher kommt ihr individueller Charakter zur Geltung?
Vertreten sind Menschen aus Berufsgruppen, in denen eine spezifische Kleidung traditionell eine große Rolle spielt wie etwa beim Militär, in den Kirchen oder im Hotelwesen; daneben sind aber auch Menschen aus zahlreichen anderen Professionen beteiligt: ein Astronaut, ein Bergmann, eine Bundesverfassungsrichterin, ein Clown, ein Diplomat, eine Domina, ein Jockey, eine Kaminkehrerin und ein Koch, ein Lufthansa-Kapitän, ein Metzger, ein Polizist, eine Verkäuferin, ein Sargträger, ein Zimmermann und viele andere.
Die Uniform entindividualisiert den einzelnen Menschen, aber sie verleiht dem Träger auch Status und die Gewissheit, einer besonderen Gruppe anzugehören - nicht selten einer Elite. Uniform kann aber auch das Gegenteil von Aufstieg bedeuten: Als Symbol der Degradierung, der Demütigung wie z.B. bei der Anstaltskleidung. Die Zugehörigkeit zu einer Gruppe wird sichtbar durch die jeweilige Uniform, die dann getragen werden will oder muss. Formen, Farben, Streifen, Schulterklappen geben dem Kleidungsstück ein besonderes Gepränge und dem Träger ein imposantes Gefühl. Aufstieg und Macht werden durch symbolische Insignien sichtbar.
In Kleider machen Leute fragt Herline Koelbl nach den Veränderungen des Menschen durch das Tragen einer Uniform. Wie ändert sich das Selbstbewusstsein, der Gang, das Körpergefühl und dadurch dann das Verhalten. Gibt es eine größere Anerkennung, einen größeren Respekt, eine größere Sicherheit, ein mutigeres, ein patriotischeres Empfinden? Wie verändert sich das Gruppenverhalten durch die gemeinsame Kleidung? Werden Hierarchie und Befehle leichter akzeptiert? Gibt es eine größere Bewunderung, Bestätigung und Annäherung von Frauen für Männer in Uniform? Ist eine Gruppe von Marinesoldaten in ihren blauweißen Ausgehuniformen erotisch? Wie wichtig ist die Standeskleidung für den Menschen? Für den Chefarzt in Weiß, den Fahrer in der Uniform, den Steward, den McDonalds-Verkäufer oder den Maitre? Welche Wirkung erzielt der Uniformträger und wie ist die Wechselwirkung zwischen Betrachter und Uniformiertem?
Die Ausstellung im Deutschen Hygiene-Museum zeigte auf rund 800 Quadratmetern etwa 70 Bildpaare. Den Fotos beigegeben waren Nahaufnahmen von Körperpartien und Kleidungsdetails der Porträtierten. Diese Ansichten ergänzten die Porträts um sensible, überraschende und manchmal auch komische Facetten.
Konzept
Wie verändert sich ein Mensch durch das Tragen seiner Berufskleidung – einer "Uniform"? Wie wirkt sie sich aus auf das Selbstbewusstsein, den Gang, das Körpergefühl und dadurch auf das Verhalten? Verleiht eine Uniform mehr Anerkennung, Respekt und Sicherheit? Wie wird das Gruppenverhalten durch eine gemeinsame Kleidung geprägt? Werden Hierarchie und Befehle leichter akzeptiert? Was bedeutet die Standeskleidung dem Einzelnen? Welche Wechselwirkung besteht zwischen ihm und seinem Gegenüber?
Um Antworten darauf zu finden, hat die Fotografin Herlinde Koelbl siebzig Menschen portraitiert: einmal in ihrer Berufsbekleidung und dann in ihrem Freizeitdress. Das klingt ganz einfach – aber das Ergebnis dieser Begegnung ist erstaunlich vielfältig. Haben wir es überhaupt noch mit derselben Person zu tun? In welcher Kleidung zeigen sich die Menschen in ihrer soziale Rolle, in welcher kommt ihr individueller Charakter zur Geltung?
"Ich trage meine Uniform gerne und bin auch stolz darauf. Man schlüpft in die Rolle des Kapitäns und strahlt automatisch Autorität aus. Man spürt den Respekt, aber auch die Verantwortung. Beides gehört zu meinem Berufbild." - mit diesen Worten beschreibt ein Lufthansa-Kapitän sein Verhältnis zu seiner Berufskleidung. Und Herlinde Koelbl bemerkt dazu: "Nun sticht er heraus aus der Masse der grau-dunkel gekleideten Menschen. Wenn er nach den Passagieren aus dem Flugzeug steigt, ist er durch seine schmucke Uniform, die seine Stellung ausdrückt, etwas Besonderes. Er bewegt sich anders. Die Uniform verleiht ihm ein anderes Körpergefühl und Stolz, er ist selbstsicherer, eine Respektsperson. Hätte er seine Uniform vor dem Verlassen des Flugzeuges abgelegt, würden ihn die Passagiere mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit nicht wieder erkennen. Er wäre einer von ihnen geworden."