Einführung
Das Erleben von Zeit ist subjektiv. Ein kurzer Moment kann als lang und inhaltsreich erlebt werden, aber Tage können auch spurlos wie im Flug vergehen. Durch gezielte Zusammenführung von Konzepten aus Kunst und Kognitionswissenschaft untersucht diese Ausstellung Möglichkeiten, die Qualität und Dauer des gegenwärtigen Moments zu verändern.
In drei interaktiven Installationen wird den Besuchern die Gelegenheit geboten, mit Zeit und Raum zu spielen und das subjektive „Jetzt“ zu modifizieren. An diesen Installationen können jeweils mehrere Besucher den Zusammenhang zwischen körperlichen Handlungen und sinnlichen Wahrnehmungen für sich neu erlebbar machen. Auf diese Weise wird es möglich, intuitiv mit der eigenen Empfindung von Gegenwart zu experimentieren.
Seit 2008 hat die Schering Stiftung das interdisziplinäre Forschungsprojekt „Handlungs-Erlebnis-Räume“ unter der Federführung von Professor Jochen Brüning am Hermann von Helmholtz-Zentrum für Kulturtechnik in der Förderung begleitet. Die Arbeit an Wahrnehmungsexperimenten ist beispielhaft für die gemeinsame Suche von Wissenschaftlern und Künstlern nach innovativen Methoden zur kognitiven Erforschung sozialer Interaktion und Synchronisation. Im von der Schering Stiftung geförderten Projekt Erkundungen des Jetzt – Exploring the Now haben ein Mathematiker, ein Kognitions-Wissenschaftler und ein Musiker gemeinsam mit einem Ingenieur neue Wege der experimentellen Ästhetik entwickelt.
Installationen
ZEITKARUSSELL
Im Zentrum der Ausstellung steht das "Zeitkarussell", eine Installation, die mit dem Spiegelbild-Erlebnis experimentiert. Das Spiegelbild-Erlebnis betrifft das Empfinden der eigenen Identität; es führt zu der Wahrnehmung einer vergrößerten, auf die Außenwelt projizierten Identität. Spiegelerlebnisse kommen erst dann zustande, wenn ein systematischer Zusammenhang zwischen den eigenen Gedanken und Bewegungen und den Bewegungen des Spiegelbildes entsteht. Wichtig dabei ist vor allem ein enger zeitlicher Zusammenhang zwischen Ich-Bewegungen und Spiegelbild-Bewegungen, nur dann kann das Ich-Gefühl „in das Spiegelbild schlüpfen“. Wenn das enge zeitliche Verhältnis entfällt, bricht das Spiegelerlebnis zusammen. Dieser enge Zusammenhang zwischen den eigenen Handlungen und denen des Spiegelbildes wird im Spiegelkarussell systematisch genutzt, um Irritationen dadurch zu
erzeugen, dass das Spiegelbild nicht synchron ist. Im "Zeitkarussell" wird so eine neue Erlebnisebene bei der Begegnung mit sich selbst eröffnet. Virtuelle Spiegel projizieren dabei Videobilder, die Spiegeln ähnlich sind, jedoch das Spiegelbild auf vielfältige Weise zeitlich, räumlich und semantisch verzerrt zurückspielen. Allerdings stehen nicht räumlich-figürliche Verzerrungen im Vordergrund, wie bei einem Zerrspiegel. Stattdessen wird durch
Verzögerungen zwischen eigener Handlung und ihrer digitalen Reflexion systematisch eine Verunsicherung darüber erzeugt, ob es sich bei dem, was man sieht, um das eigene Spiegelbild handelt, um das Spiegelbild eines anderen Besuchers oder um eine Videoaufzeichnung. Ist man zeitlich nur wenig vom echten Abbild entfernt, dürfte die kaum merkliche Verzögerung toleriert werden, im Fokus steht der Umschlagpunkte, an dem die Identifikation verlorengeht. Die Teilnehmer können mit diesem Umschlagspunkt spielerisch experimentieren, und das Erlebnis des Gegenwarts-Momentes wird erweitert, indem der Akteur auf mehreren Projektionswänden, die auf ihn wie Spiegel wirken, seine unmittelbare Vergangenheit sieht. Die beengten Verhältnisse auf der Beobachtungsplattform machen eine Koordination der eigenen Bewegungen mit denen anderer Zuschauer nötig, und ermöglichen so eine Ich-Beobachtung in Verbindung mit einer sozialen Interaktion, die häufige Anpassung verlangt.
RAD DER ZEIT
Die Zeitmaschine “Rad der Zeit” erweitert das Erlebnis des Gegenwarts-Momentes, indem die Akteure durch Bewegen der Schwungmaschine ihre unmittelbare Vergangenheit sehen können, je schneller sie sich drehen, desto weiter sehen sie in die Vergangenheit. Damit werden die in der Routine verborgenen, sinnlich erlebbaren Konsequenzen von Handlungen in der Zeit gebrochen. Die dynamische Erforschung der gerade vergangenen Zeit verführt die Akteure zum gemeinsamen Experimentieren.
JYMMIN
„Jymmin“ [Synthese aus 'gym' und 'jamming'] ist eine Installation, die das übliche Abarbeiten an Fitnessgeräten mit der Idee der (gemeinsamen) musikalischen Improvisation verbindet. Die in üblicher Weise erbrachten Kraftleistungen erzeugen ein musikalisches Feedback, das den Akteur dazu motiviert, die Grenzen seiner körperlichen Erschöpfung zu überwinden. Das geschieht dadurch, dass dem Akteur das Erlebnis vermittelt wird, sich mittels der Musik emotional zu artikulieren.
Innerhalb nur weniger Sekunden kann man verstehen, wie die eigenen Bewegungen musikalische Klänge erzeugen. Indem die dynamischen Konfigurationen der Fitness-Geräte musikalische Klänge ansteuern, werden sie effektiv zu Musikinstrumenten. Die spontan entstehende Lust am Spiel dieser Instrumente hat mehrere Quellen. Zunächst werden sie anders gespielt als herkömmliche Instrumente, mit deren Spiel man stereotype Bewegungsfolgen assoziiert. Stattdessen eröffnen die Fitnessmaschinen einen sehr intuitiven Weg zur musikalischen Klangerzeugung und -improvisation.
Sodann erfordert die Klangerzeugung mit Fitness-Musikinstrumenten eine Kontrolle des ganzen Körpers. Die notwendige erhebliche physische Anstrengung bedeutet zwar „harte Arbeit“, aber durch die Einschaltung einer musikalisch-ästhetischen Aktion verschwimmen die Grenzen zwischen Instrumentalspiel, Work-out und Tanz. Der Akteur erlebt einen Anstieg seines körperlichen Erregungszustandes, aber er tendiert dazu, diesen als Effekt seiner musikalisch-ästhetischen Aktionen zu interpretieren. Offenbar wird durch diese Neubewertung eine bessere Balance zwischen dem starken körperlichen Engagement und den durch die Musik ausgelösten starken Emotionen erzielt, als es bei herkömmlichen Instrumenten möglich ist. In diesem ausgeglicheneren Balancegefühl könnte die Erklärung für die verminderte Empfindung von körperlicher Belastung zu finden sein.
Schließlich stellt die Installation einen Raum für Experimente mit mehreren Akteuren zur Verfügung, die verschiedene Maschinen bedienen und durch Koordination ihrer Bewegungen gemeinsame Klanglandschaften herstellen und erforschen können.
Rundgang
Förderer
Ermöglicht durch die
Unterstützt von