Sgraffiti für den Sozialismus Verborgene Wandbilder in der Eingangshalle

Bei den derzeit nicht mehr sichtbaren Sgraffiti im Windfang handelt es sich um Diplomarbeiten von zwei Studenten der Hochschule für Bildenden Künste Dresden aus dem Jahr 1955. Bei der Ausführung assistierte ihnen der heute weltberühmte Maler Gerhard Richter, der nur ein Jahr später ebenfalls seine Abschlussarbeit im Hygiene-Museums abliefern sollte – das Wandbild Lebensfreude, das nach seiner Teilfreilegung 2024 inzwischen wieder im Treppenhaus-Foyer Süd zu besichtigen ist.

Die in den Sgraffiti dargestellten Szenen greifen Themen rund um Gesundheit, Prävention und gesunde Lebensweise auf, die im Programm des Museums eine zentrale Rolle spielten. Die Motive verweisen auf die politische Leitlinie des Kollektivismus in der DDR und zeigen idealisierte Bilder einer sozialistischen Gesellschaft.

Im ersten Wandbild gestaltet Rudolf Lipowski das Thema Schwangerschaft und Fürsorge für Kinder in den ersten Lebensjahren. Neben der Mutter nimmt die Gesellschaft, die durch die Anwesenheit einer Krankenschwester symbolisiert wird, eine zentrale Rolle ein.

Das zweite Bild, ebenfalls von Lipowski, thematisiert das Familienleben und die Rolle von Vater und Mutter bei der Erziehung, insbesondere im Hinblick auf eine gesunde Lebensweise durch Spiel und Sport. Bevor Rudolf Lipowski (geb. 1927) seit 1951 an der Hochschule für Bildende Künste Dresden studierte, hatte er bereits eine Lehre als Dekorationsmaler gemacht und bis 1951 als Schriftmaler in der Werbung gearbeitet. Seit 1956 lebt er als freischaffender Maler und Grafiker in Pirna-Copitz bei Dresden.

Im dritten Bild stellt Rudolf Sitte den betrieblichen Gesundheitsschutz in der DDR dar. Ärzte waren oft dauerhaft in den Betrieben vor Ort und führten dort regelmäßige Vorsorgeuntersuchungen oder Impfkampagnen durch. Im vierten Bild zeigt Sitte beide Elternteile bei der Arbeit. Kinder wurden damals häufig bereits im Alter von nur wenigen Monaten ganztägig in Kinderkrippen und Kindergärten betreut.

Rudolf Sitte (1922 – 2009) war ein Bruder des bekannten Malers Willi Sitte. 1958 war er Gründungsmitglied der Produktionsgenossenschaft Bildender Künstler Kunst am Bau. Bis 1975 war er an der Hochschule für Industrielle Formgestaltung in Halle, Burg Giebichenstein, tätig. Von 1981 bis 1987 hatte er an der Dresdner Kunsthochschule die Professur im Lehrbereich architekturbezogene künstlerische Gestaltung inne.

 

Die Maltechnik des Sgraffito

Das Sgraffito ist eine Technik der Wandmalerei, die ähnlich der Freskomalerei das Vorhandensein von mehreren Putzflächen erfordert. Bei den vier Bildern im Windfang des Hygiene-Museums sind wahrscheinlich drei verschiedenfarbige Putzschichten übereinander aufgetragen und mit unterschiedlichen Werkzeugen bearbeitet worden. Das handwerkliche Prinzip ist das Freikratzen der übereinanderliegenden Schichten in Flächen oder Strukturen. Traditionell wurde diese witterungsbeständige Werktechnik vor allem an den Fassaden von Gebäuden eingesetzt.

 

Der Verbleib der Wandbilder

Im Rahmen der Generalsanierung (2000 bis 2011) durch das Dresdner Architekturbüro Peter Kulka wurde das Museumsgebäude weitgehend in den Zustand zurückversetzt, den ihm der Architekt Wilhelm Kreis bei der Eröffnung 1930 gegeben hatte. Das Landesamt für Denkmalpflege Sachsen hatte dabei geprüft, welche der zwischen 1945 und 1990 erfolgten Umbauten und gestalterischen Veränderungen erhalten werden sollten. In diesem Fall wurde nach fachlicher Untersuchung und Dokumentation entschieden, dass die Sgraffiti zugunsten einer Wiederherstellung des ursprünglichen Erscheinungsbildes der Eingangshalle verdeckt werden sollten. Bei anderen späteren Eingriffen, wie den Löwen von August Gaul im Windfang oder den Glasfenstern von Richard Morgenthal im Treppenhaus, wurde von diesem Prinzip abgewichen.